Beunruhigt folge ihm Lenore. Endlich entfaltete er die Zeitung und wandte die Blätter nachlässig um, bis sein Blick auf eine gerichtliche Anzeige fiel. Eine dunkle Röthe stieg ihm langsam über die Wangen, das Blatt fiel zur Erde, er griff mit der Hand an die Bretter eines Wagens und legte seinen Kopf darauf. Erschrocken hob Lenore das Zeitungsblatt auf und sah den Namen der polnischen Herrschaft, auf welcher der Vater, wie sie wußte, ein großes Capital stehen hatte. Ein Termin zur Versteigerung der Herrschaft wegen Concurses war angezeigt.

Wie ein Blitzstrahl traf den Freiherrn die Nachricht. Wenn er sein eigenes Gut belastet hatte, war ihm die Summe, die auf fremdem Boden ruhte, als die letzte Grundlage seines Wohlstandes erschienen. Oft hatte er gedacht, ob es nicht thöricht war, Andern in der Fremde sein Geld zu lassen und daheim fremdes nur zu theuer zu bezahlen; immer hatte er eine Scheu davor gefühlt, auch dies runde Capital in seine Unternehmungen zu werfen, er betrachtete es als das Witthum seiner Gemahlin, als das Erbtheil der Tochter. Jetzt war auch diese Summe gefährdet, die letzte Sicherheit war verschwunden, Alles um ihn wankte. Ehrenthal hatte in betrogen, er hatte die Correspondenz mit dem Bevollmächtigten des polnischen Grafen geführt, er hatte ihm am letzten Termin die Zinsen noch vollständig berechnet, es war kein Zweifel, Ehrenthal wußte von den schlechten Verhältnissen des polnischen Gutes und hatte sie ihm verheimlicht.

"Vater," rief Lenore, ihn von dem Wagen aufrichtend, "fasse dich, sprich mit Ehrenthal, fahr' zu deinem Anwalt, es wird auch gegen dieses Unglück eine Hilfe geben."

"Du hat Recht, mein Kind," sagte der Freiherr mit klangloser Stimme, " noch ist möglich, daß die Gefahr nicht so groß ist. Laß anspannen, ich will nach der Stadt. Verbirgt der Mutter, was du gelesen hast, und du, liebe Lenore, begleite mich."

Als der Wagen vorfuhr, fand er den Freiherrn noch auf derselben Stelle, wo die Nachricht in sein Herz gedrungen war. Schweigend saß er während der Fahrt in eine Ecke gedrückt.

In der Stadt brachte er die Tochter vor sein Quartier, das er immer noch nicht aufgegeben, um seinen Bekannten und seiner Frau nicht den Verdacht zu erwecken, als gehe es mit seinem Vermögen zurück. Er selbst fuhr zu Ehrenthal. Zornig trag er in das Comtoir und hielt dem Händler nach rauhem Gruß das Zeitungsblatt entgegen. Ehrenthal erhob sich langsam und sagte mit dem Kopfe nickend: "Ich weiß, der Löwenberg hat deswegen an mich geschrieben."

"Sie haben mich getäuscht, Herr Ehrenthal!" rief der Freiherr, mühsam nach Haltung ringend.

"Wozu?" erwiederte achselzuckend der Händler, "wozu sollte ich Ihnen verstecken, was doch die Zeitung melden muß? Das kommt vor bei jedem Gut, bei jeder Hypothek. Was ist dabei für ein Unglück?"

"Die Verhältnisse der Herrschaft sind schlecht, Sie haben lange darum gewußt," rief der Freiherr; "Sie haben mich betrogen."

"Was reden Sie da von Betrug?" fuhr Ehrenthal zornig auf; "nehmen Sie sich in Acht, daß nicht ein Fremder Ihre Worte hört. Ich habe mein Geld bei Ihnen stehen, wie kann ich ein Interese haben, Sie kleiner zu machen und größer zu machen Ihre Verlegenheiten? Ich selber stecke darin bei Ihnen so tief," er wies auf eine Stelle, wo bei den Menschen das Herz zu sitzen pflegt. "Hätte ich gewußt, daß diese Fabrik wird fressen mein gutes Geld, ein Tausend nach dem andern, wie ein Thier frißt, das hinten offen ist, ich hätte mich bedacht und Ihnen auch nicht gezahlt einen einzigen Thaler. Ich will mit meinem Gelde füttern eine Herde Elephanten, aber ich will niemals wieder füttern eine Fabrik. Wie können Sie also sagen, daß ich Sie betrogen habe?" schloß er in steigender Hitze.

"Sie haben um den Concurs gewußt," rief der Freiherr, "und haben mir verheimlicht, wie es mit dem Grafen steht."

"Bin ich es gewesen, der Ihnen hat verkauft die Hypothek?" frug der entrüstete Ehrenthal. "Ich habe Ihnen alle halbe Jahre die Zinsen eingezogen, das ist mein Unrecht, ich habe Ihnen außerdem gezahlt noch vieles Geld, das ist mein Betrug." - Versöhnend fuhr er fort: "Sehen Sie die Sache ruhig an, Herr Baron, ein anderer Gläubiger hat angetragen auf den Verkauf der Herrschaft, die Gerichte haben's uns nicht angezeigt, oder sie haben die Anzeige geschickt an eine falsche Adresse. Was thut's? Sie werden jetzt bekommen nach der Subhastation ausgezahlt Ihr Capitel, dann können Sie bezahlen die Gläubiger, die Sie auf Ihrem Gut haben. Es sind, wie ich höre, große Güter bei dieser Herrschaft, und Sie haben nichts zu befürchten für Ihr Capital."

Mit dieser zweifelhaften Hoffnung mußte sich der Freiherr entfernen. Niedergeschlagen bestieg er seinen Wagen; er rief dem Kurtscher: "zum Justizrath Horn!" aber mitten auf dem Wage gab er Gegenbefehl und fuhr nach seinem Quartier zurück. Es war zwischen ihm und dem alten Rechtsfreund eine Kälte eingetreten. Er hatte sich gescheut, diesem seine unaufhörlichen Verlegenheiten mitzutheilen, und war durch einige wohlgemeinte Warnungen desselben verletzt worden; so hatte er oft die Hilfe anderer Juristen in Anspruch genommen.

 

 

Entnommen aus: Gustav Freytag. Soll und Haben. Roman in sechs Büchern
Drittes Buch, Kapitel 4. Gesammelte Werke in 22 Bänden, Leipzig, Hirzel 2. Auflage 1896, Band 4, Seite 461 bis 472

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