Mit Bestürzung und Trauer nahm die Gustav Freytag Gesellschaft die Nachricht vom Tode ihres langjährigen aktiven Mitglieds Waldemar Zylla entgegen, der kurz vor Vollendung seines 80. Lebensjahres verstarb.

 

Waldemar Zylla ist aus der oberschlesischen Kulturszene der letzten fünf Jahrzehnte in Deutschland nicht wegzudenken. Er war u. a. Bundeskulturreferent der Landsmannschaft der Oberschlesier, Herausgeber der kulturellen Schriftenreihe Oder, Mitherausgeber des Oberschlesischen Jahrbuches, Gründungsmitglied der 1987 reaktivierten Gustav-Freytag-Gesellschaft, in deren Vorstandschaft er bis zu seinem Tode wirkte, Mitglied der Eichendorff-Gesellschaft , um nur einige seiner ehrenamtlichen Funktionen, die er mit vollem Einsatz wahrgenommen hat, zu nennen.

Geboren wurde Waldemar Zylla am 2. Juli 1931 in Ruderswald, einer kleinen Ortschaft im südöstlichen Teil des Landkreises Ratibor, am rechten Oderufer, unweit der Mährischen Pforte, die die historische Grenze zwischen Schlesien und Mähren markiert und der Oder den freien Lauf in Richtung Ostsee gewährt. Die Gegend gehörte seit der Mitte des 17. Jahrhunderts zu den Gütern der Fürsten von Lichnowsky.

Doch seine Kindheit und frühe Jugendzeit verbrachte Waldemar Zylla in Beuthen, einer der ältesten oberschlesischen Residenzstädte und einer der größten Metropolen des Industriegebietes. Beuthen sollte ihm zur eigentlichen Heimatstadt werden, mit der er sich bis ans Lebensende aufs Engste verbunden fühlte. Von dort musste der damals Dreizehnjährige im Januar 1945 mit der Mutter und der Schwester in Richtung Westen flüchten. Der Vater wollte zuerst in Beuthen verharren, wurde wie viele Oberschlesier aus der Beuthener Gegend, von den Sowjets las Zwangsarbeiter nach Russland verschleppt. Er kehrte nie wieder zurück und starb nach kurzer Zeit im noch verhältnismäßig jungen Alter an den Folgen von Krankheit und Erschöpfung.

Nach der Flucht sollte Hessen für die halb verwaiste Familie zur Wahlheimat werden. Im Jahr 1947 konnte der mittlerweile bereits sechzehnjährige Waldemar seine schulische Laufbahn fortsetzen. Die Wahl der Bildungsstätte war kein Zufall: Er schrieb sich an der katholischen St.-Albert-Schule in Königstein im Taunus ein. Diese wurde von einem ‘AltBeuthener’ gegründet, dem aus seiner Ermländer Diözese Allenstein vertriebenen, aus dem oberschlesischen Beuthen gebürtigen Bischof Maximilian Kaller (1880-1947), der unmittelbar nach Kriegsende von Pius XII. zum päpstlichen Sonderbeauftragten für die heimatvertriebenen Deutschen ernannt wurde. Die. Hochschulreife erwarb Waldemar Zylla im Jahre 1953 am Alten Kurfürstlichen Gymnasium in Bensheim an der Bergstraße.

Unmittelbar nach dem bestandenen Abitur nahm er sein Studium in den Fächern Germanistik, Geschichte, Katholische Theologie, Kunstgeschichte, Philosophie und Ethnologie an der Johann-Wolfgang-von-Goethe-Universität in Frankfurt am Main auf. Nach dem ersten Staatsexamen für das Lehramt der Sekundarstufe 11 (1960) und dem anschließenden Referendariat am Fuldaer Studienseminar trat er in den Schuldienst ein.

Seine berufliche Laufbahn schlug Waldemar Zylla am Herdergymnasium in Kassel ein. Von 1966 bis zu Pensionierung 1987 war er Fachlehrer für Deutsch, Geschichte, Sozialkunde und katholische Religion am Winfriedgymnasium in der ehrwürdigen Bischofsstadt Fulda tätig, zuletzt als Oberstudienrat. Eine Zeit lang nahm er auch einen Lehrauftrag für Sprachpflege und Staatsbürgerkunde an der Fachschule des Grenzschutzes in Fulda wahr.

Bereits Mitte der 60er Jahre verschrieb sich Waldemar Zylla ehrenamtlich der kulturellen Breitenarbeit in den Gremien und Gliederungen der Landsmannschaft der Oberschlesier, zuerst in Hessen und seit 1968 im Bundesverband. Er gehörte zu den engsten Mitstreitern des langjährigen Sprechers der Landsmannschaft Herbert Czaja und prägte Jahrzehnte lang das Kulturleben der in Westdeutschland lebenden Oberschlesier. Sein besonderes Anliegen war das Herausstellen des zu oft unterschätzten und nicht angemessen wahrgenommenen Beitrages seiner oberschlesischen Heimat zur gesamtdeutschen Kulturgeschichte. Der Umsetzung dieses Ziels galten u. a. mehrere von ihm organisierte Tagungen und Lehrgänge, für die er stets namhafte Wissenschaftler und Künstler gewinnen konnte.

Mit dem Namen Waldemar Zylla und seinem unermüdlichen Engagement für die Kultur Oberschlesiens ist die sechsbändige Veröffentlichungsreihe Oder verbunden, für die er als Ideengeber und Herausgeber verantwortlich zeichnete. Die ansehnlichen und auch äußerlich interessant gestalteten Bände enthalten mit Akribie und durchdachter Systematik wissenschaftlich fundierte Porträts zahlreicher Kulturschaffender oberschlesischer Provenienz: 41 Schriftsteller, 19 bildende Künstler, 10 Komponisten.

Von Anfang an gehörte Waldemar Zylla dem Herausgeberkollegium des Oberschlesischen Jahrbuches an. Dort veröffentlichte er zahlreiche biographische Beiträge, die stets aus aktuellem Anlass (Würdigungen, Nachrufe) erschienen. Doch besonders verdient machte er sich als Verfasser der in jedem Band des Jahrbuches enthaltenen Chronik, in der er systematisch alle wichtigen Ereignisse aus dem oberschlesischen Kulturleben festhielt. Insofern ist die Chronik eine Art Dokumentation von unschätzbarem historischem Wert.

Kritisch und engagiert begleitete Waldemar Zylla seit Mitte der 80er Jahre die Arbeit der Stiftung Haus Oberschlesien, anfangs im Stiftungsrat und im letzten Dezennium als Mitglied des Vorstandes. Auf seine Initiative gehen mehrere Aktivitäten des von der Stiftung getragenen oberschlesischen Landesmuseums in Ratingen-Hösel zurück, insbesondere die Ausstellungen der oberschlesischen Künstler Albert Ferenz, Jutta Osten und Heinz Tobolla, für die er auch die Begleitkataloge erstellte.

Sehr stark engagierte sich Waldemar Zylla im Ausschuss für die Verleihung des Oberschlesischen Kulturpreises des Landes Nordrhein-Westfalen. Von ihm stammten die meisten Vorschläge für die Kreierung der Preisträger. In der 1988 erschienenen Publikation mit dem Titel Erbe und Auftrag. Oberschlesischer Kulturpreis 1965-1985 dokumentierte Zylla die ersten zwei Jahrzehnte dieser bedeutenden Kulturauszeichnung, die bis 1990 vom Patenland der in Deutschland lebenden Oberschlesier gestiftet und einmal jährlich verliehen wurde.

Sowohl Oberschlesien als Kulturlandschaft als auch über die Grenzen des Landes bekannte und verdiente Söhne und Töchter seiner Heimat standen stets im Mittelpunkt der ehrenamtlichen Aktivitäten von Waldemar Zylla. So ist es auch selbstverständlich, dass er sich in der Eichendorff-Gesellschaft und in der Gustav-Freytag-Gesellschaft aktiv engagierte und die Arbeit der beiden Literaturgesellschaften mit großzügigen Zuwendungen unterstützte. Auf sein Beitreiben wurde die Gustav-Freytag-Gesellschaft nach einigen Jahren des Stillstandes wieder reaktiviert. Bis zu seinem Tode wirkte Waldemar Zylla im Vorstand als 2. Vorsitzender.

Bereits im Jahre 1981 wurde Waldemar Zylla vom damaligen Bundespräsidenten Carl Carstens mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande geehrt. In seiner Dankesrede anlässlich der festlichen Verleihung dieser Auszeichnung sagte er u. a.:

Staat und Gesellschaft bedürfen aufbauender Kritik; Staat und Gesellschaft bedürfen aber ebenso der freiwilligen, uneigennützigen Mitarbeit möglichst vieler Einzelner. Seit dem Studium hat mich der zentrale Begrff des 'zoon politikon' aus der aristotelischen ‘Politeia’ der als ‘animal sociale’ bei Thomas von Aquin wiederkehrt, nicht losgelassen. Als es darum ging, die Grundeinsicht, dass der Mensch ein sozial gebundenes Einzelwesen sei, in die Tat umzusetzen, da lag nichts näher, als meine Arbeitskraft den vom Schicksal schwer geschlagenen Landleuten zur Verfügung zu stellen.*

Diesem Prinzip blieb Waldemar Zylla ein Leben lang treu. Er verstarb am 27. Mai 2011 in seiner hessischen Wahlheimat Schlüchtern.

Peter Chmiel

 

* = Zitiert nach: Gerhard Kosselek: Waldemar Zylla zum 70. Geburtstag. In: Oberschlesisches Jahrbuch 16/17 (200/2001), Heidelberg 2002, S. 269-272, hier S. 272.

Der Beitrag wurde mit freundlicher Genehmigung des Autors entnommen aus: Gustav-Freytag-Blätter Nr. 60/61, Seite 42 - 46

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