Lebensstationen 1816-1860

Am 13. Juli 1816 wurde Gustav Freytag in Kreuzburg/Oberschlesien geboren. Der Vater, Gottlob Ferdinand Freytag (1774-1848), hatte in Halle Medizin studiert und ließ sich in der Kreisstadt Kreuzburg als Arzt nieder, wo er im Laufe seiner Tätigkeit viel Vertrauen und hohes Ansehen bei seinen Patienten genoss. Er wurde zum Bürgermeister der Stadt gewählt (ca. 1812). Nach den Freiheitskriegen heiratete er die Landpredigertochter Albertine Zebe aus Wüstebriefe bei Ohlau (+ 1855).
Nach der Geburt des ersten Sohnes Gustav zog der Vater nach Pitschen, um eine einträglichere Praxis als Kreisphysikus zu eröffnen; er wurde jedoch 1818 von den Kreuzburgern zurückgeholt und auf Lebenszeit ins besoldete Bürgermeisteramt berufen, das er bis ins Greisenalter tüchtig verwaltete.
Gustav Freytag hatte einen jüngeren Bruder, Reinhold, der später Staatsanwalt wurde. Seinem Bruder war Gustav Freytag sein Leben lang in Liebe verbunden. 1
Gustav Freytag hatte eine insgesamt rüstige Natur, er war hoch gewachsen, hatte einen starken Knochenbau und eine straffe Haltung, lichtblondes Haar. Von Geburt an war er kurzsichtig, verzichtete aber darauf eine Brille zu tragen.

Freytag verlebte eine glückliche Kindheit im Elternhaus und kehrte bis 1846 in freien Wochen immer wieder dorthin zurück. Gustav Freytag profitierte von der ungezwungenen, offenen schlesischen Lebensart der Mutter; der Vater dagegen verkörperte den pflichttreuen und sorgfältigen preußischen Beamten. Die Kindheit und Jugend war aber insgesamt arm an bemerkenswerten Eindrücken. Gustav Freytag wuchs in der bescheidenen Welt des schlichten, aufstrebenden Bürgertums auf.
Doch bildete der Gegensatz zwischen Polen, Juden und Deutschen, welcher Freytag durch eine Fehde mit polnischen Nachbarn um den Schnitt von Grenzwiesen an der Posna während seiner Jugendjahre stets gegenwärtig war, bei ihm das Bekenntnis zum Deutschtum aus. Das im Osten gelegene Polen galt als ihm „unheimliches Land“.2
Im Elternhaus wurde nur Weniges und wenn, dann nur „Altmodisches“ gelesen, die Klassiker gehörten nicht zum Repertoire.
Lerngefährtin des zehnjährigen Knaben Gustav wurde die Tochter des Oheims Pastor Neugebauer, Julie Neugebauer, welche auch in späteren Jahre, als Freytag bereits Student war, seine „Vertraute“ blieb, mit der er alles verhandelte, was ihn beschäftigte. Nach dem Tod ihrer Eltern zog es Julie „mit einem Zug zur Schwärmerei“ in den Krankenpflegeberuf, wogegen Freytag „vergeblich ankämpfte“. Ein Jahr vor ihrem Tod besuchte Julie Gustav Freytag in seinem Haus in Siebleben: Hand in Hand, wie in ihrer Kindheit, wandelten sie auf vertrauten Wegen um die Wartburg.3
Das Gastspiel der „Gesellschaft Bonnot“, einer wandernden Schauspieltruppe, in Kreuzburg erwärmte schon früh Freytags Liebe zur Bühne. Eine wichtige menschliche Bindung entstand für den Zehnjährigen zu einem kleinen Mädchen der Schauspieltruppe, welches Kinderrollen spielte: Albertine Spahn. Albertine war einige Jahre jünger als der Knabe Gustav, doch dieser begegnete ihr stets mit „tiefer Verehrung“ und „ehrerbietiger Scheu“. Viele Jahre später kam es zu einem Wiedersehen, als Albertine Spahn als Schauspielerin in Hamburg gastierte und (als Mutter mehrerer Kinder) unglücklich verheiratet war.4 In diese frühen Jahre fiel ein erster „literarischer Versuch“ Freytags, eine „Robinsonade“, welche die Geschichte einer zerstreuten Familie zum Thema hatte.

Seit 1829 besuchte Freytag das Gymnasium in Oels. Zuvor hatte er Privatunterricht beim Pfarrer Neugebauer, einem Schwager seiner Mutter, erhalten. In Oels war Gustav Freytag einige Jahre Hausgenosse des Stadtgerichtsdirektors Karl Freytag, einem Bruder des Vaters. Zu dem Onkel entwickelte sich aber keine tiefere Bindung. Der originelle Junggeselle studierte zum Genuss dramatische Literatur (Aristophanes, Shakespeare, Calderon), ohne aber Gustav dafür erwärmen zu können. Das literarische Schlüsselerlebnis für den jungen Gymnasiasten bildete Walter Scott, dessen Romane er alle verschlang. Insgesamt fiel es Freytag schwer regelmäßig zu lernen, die Muße anderes zu treiben überwog.5 Dennoch verließ er zu Ostern des Jahres 1835 das Gymnasium in Oels als Primus und wandte sich nach Breslau, um dort klassische Philologie zu studieren.

Die zu stark grammatikalisch orientierte Auslegungsweise selbst des Platon durch Karl Schneider missfiel Freytag und so fühlte sich der junge Student bald stark zu den römischen Altertümern hingezogen, über welche der junge Ambrosch vortrug. „Von entscheidender Bedeutung aber wurde für ihn ein Privatissimum über Handschriftenkunde bei Hoffmann von Fallersleben; sah er sich doch nun in die deutsche Welt des Mittelalters eingeführt, in der eben freudig erblühenden Germanistik fand sein lebendiges Nationalgefühl die angemessene Wissenschaft. Enge Freunde dieser Zeit waren Danneil, Sohn eines Gymnasialdirektors, und Fritz Weber, der spätere Dichter von „Dreizehn Linden“, welcher Gustav Freytag als Ideal eines Dichters erschien.6 Zu ernstem Studium ließ ihm jedoch das Burschenleben im Corps der Borussen keine Zeit; zum Glück wurde Freytag aber durch die überzogen strenge Ahndung eines unerlaubten Zobtencommerces der Aufenthalt in Breslau dergestalt verleidet, dass er nach drei Semestern (im Jahr 1838) auf die Berliner Universität wechselte.7
Dass Berlin das Ziel von Freytags neuer Lebensorientierung wurde, lag wohl an seiner Freundschaft mit seinem aus dieser Stadt stammenden Kommilitonen Hollmann. Die Mentalität der Berliner sagte Freytag aber wenig zu.8 In der neuen Umgebung enthielt Freytag jedoch entscheidende Impulse durch Lachmann und Jacob Grimm (dessen Schriften ihm die „romantische Grundansicht des deutschen Volksgeistes“ vermittelten.“ An der Philosophie nahm Gustav Freytag keinen inneren Anteil. Auch die Beschäftigung mit der Geschichte regte ihn wenig an; gegen Rankes Art der Geschichtsbetrachtung „fasste er eine teutonisch-populäre Abneigung.“ Freytags Liebling unter den Geschichtsschreibern wurde dann später Macauly.
Auch wenn Freytag das soziale Miteinander einsamen Studien vorzog („Unschätzbar förderte ihn der Verkehr mit fröhlichen Genossen.“9), so wurde doch durch den Freund Adalbert Kuhn bald in Freytag das Interesse für das Indogermanische geweckt. Auch Julius Gerloff gehörte zu seinem Freundeskreis10, ebenso wie die Söhne des Amtsrats Koppe, die Freytag wiederholt auf die landwirtschaftliche Musterdomäne Wollup in Oberbruch begleitete.
Im März 1839 erwarb Gustav Freytag mit der Habilitationsschrift „De Hrosuitha poetria“ die venia legendi für deutsche Philologie an der schlesischen Universität Breslau. Gegenstand der Habilitationsschrift war das dichterische Werk der Nonne Roswitha von Gandersheim.11

In den folgenden sieben Jahren (1839-1846) war Gustav Freytag an der Universität Breslau als junger Gelehrter und später als Dozent tätig und hielt Vorlesungen über die Fachbereiche mittelhochdeutsche Grammatik, Literaturgeschichte und das Nibelungenlied. Freytag ersuchte um Verschiebung des Militärdienstes, was ihm aber nicht gewährt wurde. Infolge Überarbeitung und aufgrund seiner kränklichen Konstitution erkrankte er bald darauf an gastritischem Fieber, später auch noch an einem hitzigen Nervenfieber; die Mutter pflegte ihren Sohn wieder gesund und so konnte Gustav Freytag im Sommer 1840 seine Vorlesungen wieder aufnehmen.12 In diese Zeit fiel auch Freytags zunehmendes Interesse für liberales Ideengut.
Als Mitglied im Breslauer Künstlerverein schloss er weitere Freundschaften, so u.a. mit dem Dozenten der juristischen Fakultät, August Geyder, und Hoffmann von Fallersleben.

Freytag wohnte in Breslau in demselben Haus wie die schlesische Dichterin Agnes Franz; zu der älteren Dame entwickelte sich ein vertrautes Verhältnis. Eine enge Freundschaft verband Freytag auch mit dem Breslauer Kaufmann Theodor Molinari, in dessen Familie er gern verkehrte. Molinari war Liberaler – und durch ihn kam Freytag in näheren Kontakt mit anderen Liberalen, die er als seinen „Breslauer Freundeskreis“ bezeichnete: Karl Milde, ein in England ausgebildeter Mann, Pinder, der neue Oberbürgermeister, Richard Röpell, Professor für Geschichte.13
Auf ärztliches Anraten nahm Freytag im Jahr 1841 Aufenthalt im Ostseebad Swinemünde und machte dort die interessante Bekanntschaft mit dem finnischen Seemann Schanz.14
Im Herbst des folgenden Jahres lernte Gustav Freytag auf der Insel Helgoland während eines Urlaubs seine spätere Frau Emilie Scholz kennen.

Am Breslauer Theater hatte Karl von Holtei die künstlerische Leitung übernommen. Freytag und Holt wurden „gute Bekannte“; sie spielten oft miteinander am Mittagstisch Domino. Auch zu dem Schauspieler August Wohlbrück trat Freytag in engere Beziehung. Oft saßen beide bis in die Nacht zusammen und unterhielten sich über verschiedene Theaterrollen.15

Der Autor Berthold Auerbach investierte viel in eine Freundschaft mit Gustav Freytag; doch dieser verhielt sich eher distanziert. Später verfasste Freytag eine kritische Besprechung eines seiner Werke in den „Grenzboten“, was Auerbach schmerzhaft traf.16
Als im Jahr 1843 August Heinrich Hoffmann von Fallersleben aus politischen Gründen aus seinem Amt entlassen wurde, bewarb sich Freytag vergeblich um eine außerordentliche Professur; man entschied sich für das „linguistische Talent“ Theodor Jacobi.
Während der Breslauer Jahre arbeitete Gustav Freytag an einer Geschichte der deutschen dramatischen Dichtung, wofür er auch Studien an der Universität Wien durchführte. Freytag wollte über sein Thema eine Vorlesung halten, stieß aber auf den Widerspruch des Fachhistorikers Stenzel. Als Freytag kurz darauf ein erneutes Gesuch auf Beförderung nur eine almosenartige Geldbelohnung eintrug, stellte er im Herbst 1844 seine Vorlesungen ein, verließ ohne Abschied die akademische Laufbahn und wandte sich dem für künftige Schriftsteller anregenden Breslauer Kulturleben zu: Freytag verkehrte im Hause seines Freundes Theodor Molinari. Auch mit dem von ihm verehrten Dichter Ludwig Tieck kam er in persönliche Beziehungen. Zudem pflegte Freytag Umgang mit Schauspielern, vorzüglich mit dem Komiker und Charakterdarsteller August Wohlbrück.

1846 entstand Freytags erstes Bühnenstück („Die Valentine“). Am Ende des Jahres verbrachte er dann einige Monate „erregten Künstlerlebens“ in Leipzig: bei Heinrich Marr macht er eine Art Theaterpraktikum zusammen mit den Schauspielern Bertha Unzelmann, Joseph Wagner und Elisabeth Sangalli. Mit der Familie Heinrich Laubes pflegte Freytag täglichen Umgang. Laube versuchte später Gustav Freytag für eine Kandidatur für die Frankfurter Nationalversammlung zu erwärmen.17 Eine kleine Meinungsverschiedenheit gab es in dieser Zeit mit Karl Gutzkow, dem Dramaturgen des Dresdener Hoftheaters.18

Zu Jahresbeginn 1847 siedelte Freytag nach Dresden über und heiratete dort im Herbst die wohlhabende Schlesierin Emilie Scholz, geschiedene Gräfin Dyhrn, die er fünf Jahre zuvor auf Helgoland kennengelernt hatte. Die Gräfin hatte sich von ihrem Mann scheiden lassen und war dann Gustav Freytag nach Dresden gefolgt. Die Ehe blieb kinderlos. Freytag schien die Jahre währende voreheliche „offene Beziehung“ zu Emilie Scholz keine moralischen Bedenken machen. Das äußerte er in Briefen an seinen Breslauer Freund Theodor Molinari. Nach der gemeinsamen Umsiedlung des Paares nach Dresden fand es Zuflucht bei der als emanzipiert "verschrienen" Ida von Hahn-Hahn und ihrem Lebensgefährten Adolf Freiherr von Bystram.19 Am 13. Oktober 1847 schrieb Freytag an Molinari, er wolle innerhalb von vier Wochen heiraten und bittet diesen, für ihn verschiedene Briefe an Pastöre weiterzuleiten. Auch über Emilies Vermögen und seine Lebensauffassung äußerte sich Freytag in jenem Brief: das Vermögen sei „nicht groß, aber hinreichend, um ihr im Sommer den Genuss des Landes, im Winter eine größere Stadt zu gewähren. Ich bin, wie Du weißt, nirgend und überall zu Hause. Welche Wirkung Eigentum und Besitz auf mich ausüben wird, weiß ich nicht. Wenigstens empfinde ich keine Sehnsucht danach, wohl aber nach Ruhe und Häuslichkeit. Und sehr vergnügt bin ich, dass ich die jetzt in Gemeinschaft mit der Frau finde, die mir seit Jahren nicht nur Geliebte, auch Freundin war. Ich finde sie gesunder und mutiger und sie betrachtete heute lange mit tiefer Andacht zwei kleine chinesische Pantoffeln, die Rose ihr auspackte.“20
Freytag wollte sich im Herbst 1847 eine Wohnung in Dresden mieten, da Emilie es nicht gern sah, dass er schon jetzt in den Zimmern Bystrams wohnte. Emilie Scholz hatte sich in „den kleinen, aber geschmackvollen Appartements der Hahn“ eingerichtet. Freytag lobte die Wohnung in der Waisenhausstraße 12, welche die Gräfin Hahn möbliert hinterlassen hatte und erwähnte, dass er auf dem „besten Divan eine recht gemeine Cigarre geraucht“ habe.21

Im Herbst 1847 weilte Freytag in Leipzig, um seine "Valentine" aufzuführen. Hier lernte er Julian Schmidt, Julius Fröbel und Arnold Ruge kennen. Auch mit Ludwig Tieck und Eduard Devrient stand er in Verbindung. Der Kontakt zwischen Gustav Freytag und Julian Schmidt war durch Arnold Ruge vermittelt worden.22
Im Herbst 1848 siedelte Freytag, nachdem er Julian Schmidt kennengelernt und sich zur Mitarbeit bei den „Grenzboten“ entschieden hatte, nach Leipzig über. Aus einem Brief an seinen Freund Theodor Molinari erfährt man, wo das Ehepaar Freytag später in Leipzig wohnte, und zwar in der „Kreuzstraße No. 8, parterre“ – dort, so hoffte Freytag, würde Molinari ihn besuchen.23
Zu Freytags Freunden gehörten in dieser Zeit auch Theodor Mommsen, Maximilian Wolfgang Duncker, Karl Friedrich Samwer, Ernst Alfred Christian von Stockmar, Franz Hermann Schulze-Delitzsch, Rudolf Friedrich Moritz Haupt sowie der preußische Kronprinz Friedrich Wilhelm (Friedrich III., welcher im sog. „Dreikaiserjahr“ 1888 starb, kurze Zeit nachdem er die Nachfolge Wilhelms I. angetreten hatte).

Im Jahr 1851, am 2. Juli, erwarb Freytag auf ärztliches Anraten im Dorf Siebleben bei Gotha ein einfaches behagliches Landhaus mit großem Garten, welches um 1801 noch im Besitz des Ministers von Frankenberg war. Es trug damals im Goetheschen Kreis den Namen „Gute Schmiede“ und hatte dem großen Dichter auch wiederholt als Unterkunft auf seinen Reisen gedient. Hier im Thüringischen lernte Freytag das bäuerliche Leben kennen und genoss die dörfliche Idylle Sieblebens sowie „das Blätterdach alter Linden“ in seinem Garten.24 In Siebleben verbrachte Freytag jährlich einige Monate – zumeist die Sommerzeit -, aber er hatte sich mitunter auch im Winter für einige Wochen dorthin zurück gezogen, wie aus den Datumsangaben seiner Briefe an den Verlegerfreund Salomon Hirzel hervorgeht. Immer wieder fanden sich in zahlreichen Briefen Freytags an Hirzel und Theodor Molinari einige Sätze zum Leben in der thüringischen Idylle: die ruhige Natur, einsame Spaziergänge, nur wenige Menschenbegegnungen sowie ein gleichförmiger Tageslauf trugen zur Erholung und geregelter Produktivität bei. Wenn auch wiederholt durch eigene Krankheiten und Leiden der Ehefrau gestört, bildeten die Sieblebener Aufenthalte doch Ruheoasen in Freytags Alltagverpflichtungen. Exemplarisch seien zwei Beispiele aus Freytags Briefen angeführt. An Theodor Molinari schrieb er: „Herzliche Grüße sende ich Dir aus unsrem grünen Garten, wo ich seit vier Wochen unter Büchern vergraben sitze, nur durch den Ruf eines alten Finken Rutschkebir beunruhigt, oder durch die Anrede eines reisenden Handwerksburschen. Als wir von Euch nach Leipzig zurückkehrten, schnürten wir so schnell als möglich unser Bündel und machten uns hierher, um eine stille Sommerkur vorzunehmen. Das hat angeschlagen, meine Frau fühlt sich weit wohler und ich bin eine unangenehme Schlaffheit, die mich den ganzen Winter gequält, zum größten Teil los.“25 Am 1. Juni 1862 schrieb Freytag: „Da sitzen wir also hier, in größter Stille und einer Einsamkeit, die nur selten durch eine Gestalt aus Gotha unterbrochen wird. Das schöne Frühjahr tut uns rußbedeckten Leipzigern sehr gut, nur mit dem Arbeiten will es noch nicht recht gehen, die Sträucher, Blumen und Sperlinge verführen immer wieder ins Freie.“26
Doch kamen nach Siebleben auch zahlreiche Besucher, nicht nur die "Grenzboten"-Mitarbeiter Julian Schmidt und Jakob Kaufmann, auch Karl Mathy, Moritz Busch, Otto Jahn und Moritz Haupt, um nur einige zu nennen, verweilten einen bis mehrere Tage im stillen Siebleben.
In den folgenden Jahren konnte sich Freytag mit dem Lustspiel „Die Journalisten“ (1852) sowie dem Roman „Soll und Haben“ (1853/55) auf dem literarischen Markt etablieren. Als Freytag mit dem Bühnenstück in Leipzig auftauchte, legte er es zunächst seinem Freund Julian Schmidt zur Beurteilung vor, welcher es für gut befand.27
Während seiner Leipziger Winteraufenthalte in dieser Zeit knüpfte Gustav Freytag auch eine enge Freundschaft mit seinem Verleger: „Salomon Hirzel stammte aus einem alten Patriziergeschlecht Zürichs…; er war ein kluger, vornehmer Geschäftsmann von reicher Bildung… Meine Verbindung mit ihm wurde eine so innige, wie sie nur irgend zwischen Schriftsteller und Verleger bestehen kann. Dass wir nebeneinander wohnten, kam dem Tagesverkehr zu Gute. Er war der aufmerksamste, zartsinnigste Freund…“

In Gotha wurde Freytag ein Vertrauter des Herzogs Ernst II. und beteiligte sich 1853/54 an den Aktivitäten des vom Herzog gegründeten literarisch-politischen Vereins, der sich zum Ziel gesetzt hatte, die liberale Partei wiederzubeleben. Die preußische Regierung hatte in dieser Zeit einen Haftbefehl gegen Freytag ausgestellt und dem Schriftsteller drohte Festungshaft, falls er aufgegriffen werden sollte. Der Herzog Ernst II. verlieh dem Schriftsteller daraufhin den Hofratstitel und ernannte Gustav Freytag zu seinem „Vorleser“.28 Durch seine Zugehörigkeit zum Hof war Freytag nun vor dem Zugriff der preußischen Behörde geschützt. Ernst II.29 unterstützte die Ideen des liberalen Bürgertums und prägte auch seine Landesverfassung nach liberalen Grundsätzen. Er war ein Förderer der Künste und u.a. auch den Komponisten Johann Strauß. Später stand er in Opposition zur Politik Bismarcks. Die gute Beziehung zwischen Freytag und dem Herzog entwickelte sich zu einer Lebensfreundschaft.
In dieser Zeit beschäftigte sich Gustav Freytag auch mit der psychologischen Entwicklung Napoleons III., weil er auf der Suche nach einem neuen Romanstoff war. Zudem engagierte er sich für seinen Freund Salomon Hirzel und beteiligte sich an der Suche nach Goethe-Reliquien, welche dieser sammelte.30

Im Jahr 1855, um die Osterzeit, starb Freytags Mutter, drei Jahre später, am 21.10. 1858, sein Bruder Reinhold, den Freytag als seinen „ältesten Freund“ bezeichnete. Reinhold Freytag war lange Jahre als Staatsanwalt tätig gewesen. Er war bei einer militärischen Übung, an der er als Landwehroffizier teilgenommen hatte, tödlich erkrankt; er hinterließ fünf Kinder und seine Ehefrau. Bald darauf zog Gustav Freytags Schwägerin nach Thüringen in seine Nähe. Gustav Freytag war am Jahresende 1858 der letzte Lebende seiner Familie.31
Da sich Julian Schmidt seit 1857 zunehmend anderen Aufgaben zuwandte, galt seit diesem Zeitpunkt Gustav Freytag als die eigentliche „Seele“ der Zeitschrift „Die Grenzboten“.32 In den folgenden Jahren (1857-1862) intensivierte sich Freytags Beziehung zu Karl Mathy in Gotha und Leipzig. Zu ihm blickte Freytag „liebevoll empor“. Nach dessen Tod (1868) verfasste Freytag eine Biographie seines badischen Freundes.

Von Leipzig begab sich Freytag auch häufig nach Dresden und Halle. Im letzten Haus der Pirnaer Straße in Dresden besuchte er den Shakespeare-Übersetzer Wolf Heinrich Graf von Baudissin in dessen „Winterwohnung“ und weilte einige Tage bei dem ihm freundschaftlich verbundenen alten Mann und dessen Gattin.33 In Halle pflegte Freytag Kontakt zu Maximilian Duncker und Rudolf Haym.34 Der Historiker und Politiker Duncker (1811-1886) entstammte einer Verlegerfamilie und war von 1842-1857 als Professor für Geschichte in Halle tätig, danach zwei Jahre in Tübingen. Der Philosoph und Publizist Rudolf Haym (1821 – 1901) war in verschiedenen Parlamenten vertreten und machte sich später als Professor für deutsche Literatur einen Namen. Mit diesen drei Männern teilte Freytag seine liberale politische Auffassung. Später erwuchs in diesem Umfeld Freytags die Initiative zur Bildung des „Nationalvereins“, aus dem sich unter der Führung von Rudolf von Bennigsen die „Nationalpartei“ entwickelte.35
Durch Herzog Ernst II. von Gotha lernte Freytag 1860 den preußischen Kronprinzen (den späteren Kaiser Friedrich III., welcher 1888 starb) und dessen englische Gemahlin kennen, welche er sehr bewunderte.
Nachdem sich Julian Schmidt nach Berlin begeben hatte, wurden die „Grenzboten“ nun gemeinsam mit den öffentlich bestellten Redakteuren Moritz Busch (bis 1866) und Julius Eckardt (bis 1870) herausgegeben.36 Bei den abendlichen Biertreffen mit dem Grenzbotenstab „am runden Tisch bei Kitzing“, einem Bierhaus in der Grimmaischen Straße in Leipzig, waren auch Mathy und der junge Heinrich von Treitschke dabei. „Da dachte man preußisch-deutsch und grundsätzlich liberal“.37

 

Die späten Jahre (1861-1895)

Das Jahrzehnt von 1860-1870 stand für Gustav Freytag – so berichtet er rückblickend in seiner Autobiographie – im Zeichen der nationalen Einigung Deutschlands. Es war „das Jahrzehnt…, in welchem die Nation den größten Fortschritt machen sollte, der ohne es zu ahnen, im Aufstieg zur Höhe politischer Macht und zur Bildung eines Reiches, durch welche das Machtverhältnis sämtlicher Staaten der Erde geändert und dem deutschen Wesen ein Herrenanteil an den Geschicken der Welt zugeteilt werden sollte, wie die Nation ihn nie besessen und wie ihn die kühnsten Träume eines Deutschen nicht geahnt hätten.“38 Überhaupt vertrat Freytag eine nationale und monarchische Gesinnung. Wilhelm I. genoss seine hohe Wertschätzung39; während des Krieges 1866 empfand Freytag durch und durch patriotisch: „Der Gewinn, als Einzelner Teil zu haben an starkem politischem Fortschritt des eigenen Staates, an Siegen und Erfolgen, welche größer waren als jede Hoffnung, ist das höchste Erdenglück, welches dem Menschen vergönnt wird. In solcher Zeit erscheint das eigene Leben als klein und unwesentlich, in gehobener Stimmung fühlt sich der Mensch als Teil eines großen Ganzen, Alles, was in ihm tüchtig ist, wird gesteigert, die Hingabe an eine große Pflicht adelt ihm die Gedanken des Tages, alles Tun, seine Haltung. Die Männer, welche als Leiter des Staates und des Krieges diese Erhebung der Seelen bereiten, werden der Nation liebe und vertraute Helden. Für Deutschland war endlich die Zeit gekommen, wo die stärkste Kraft der Nation in den Führern verkörpert erschien, und wo der Mann das Schicksal des Volkes beherrschte. Das ungeheure und in Vielem unverständliche Leben der Nation, welches in gewöhnlicher Zeit nach entgegengesetzten Richtungen dahin flutet, die einander kreuzen und bekämpfen, erschien zusammengefasst und dienstbar der Kraft einzelner Menschen. Das Walten einer ewigen Vorsehung über den Schicksalen der Nationen und Reiche wurde uns dadurch so verständlich, wie uns sonst eine Menschenseele verständlich ist.“40

Die Kriegswochen des Jahres 1866 verbrachte Freytag in Leipzig. Kurz vor „Beginn des Kampfes“ hatte er einige Tage in Siebleben verbracht, „um dort mein Haus für den Krieg zu bestellen", und hatte zu Gotha in der Nähe des Herzogs über die Verhandlungen mit dem König von Hannover erfahren. Nach Leipzig zurückgekehrt, erlebte Freytag dort den Kriegsbeginn mit dem Einzug der preußischen Vorhut, welche, „die Pistole in der Faust“, in die Stadt einritt. „Es war von Feindseligkeit der Bevölkerung wenig zu spüren, denn das Gefühl der Zusammengehörigkeit war untilgbar. Ich darf hier sagen, dass ich auf einen guten Ausgang für den Staat meiner Väter sicher vertraute, und nur durch die Schnelle und Größe des Erfolges überrascht war.“41

Im Jahr 1867 weilte Gustav Freytag in Berlin, und zwar in der Funktion als thüringischer Abgeordneter des konstituierenden Reichstages des Norddeutschen Bundes. „Aus Erfurt wurde mir der Antrag gestellt, ich möge mich einer Wahl unterziehen.“ Obwohl Freytag sich nicht als Politiker zu wirken berufen fühlte, gab er doch dem Drängen seiner Freunde nach und kandidierte für die „Nationale Partei“.42 Doch der Schriftsteller sah sich im Beruf des Politikers deplatziert und unterzog seine Fähigkeiten einer selbstkritischen Analyse: „An mir selbst machte ich bei einem erfolglosen Versuch auf der Tribüne die Beobachtung, dass ich noch nicht das Zeug zu einem Parlamentsredner besaß und dafür längerer Übung bedurft hätte, die Stimme war zu schwach, den Raum zu füllen, ich vermochte bei dem ersten Auftreten die unvermeidliche Befangenheit nicht zu überwinden, auch war ich durch langjährige Beschäftigung in der Schreibstube wohl zu sehr an das langsame und ruhige Ausspinnen der Gedanken gewöhnt, welches dem Schriftsteller zu Teil wird. Diese Erkenntnis tat mir im geheimen doch weh, obwohl ich sie weltmännisch zu bergen suchte.“ So blieb es denn für Gustav Freytag letztlich dabei, sich nur brav an den Abstimmungsritualen des Parlaments zu beteiligen.43 Freytags Reichstagstätigkeit währte nicht lange, und zwar von Ende Februar bis Mitte April des Jahres 1867.44 Dennoch empfand er seine Berliner Zeit als wertvoll. Er fühlte sich in der großen Stadt schnell heimisch und war belebt „durch den fast überreichen Verkehr mit alten und neuen Genossen.“ In einem Brief vom 5. März 1867 an seinen Verleger Hirzel berichtete Freytag von einem Treffen mit „alten Freunden“ bei Theodor Mommsen; auch bei Moritz Haupt wurden im Rahmen einer kleinen Gesellschaft Bekanntschaften aufgefrischt, so mit Georg Beseler und Friedrich Adolf Trendelenburg. „Schmidt habe ich einmal vergebens aufgesucht.“45
Die Zeit seit 1869 war privat von einem zunehmenden körperlich-geistigen Leiden seiner Ehefrau Emilie gekennzeichnet, welche am 13. Oktober 1875 verstarb.

Schon vor den Kriegsereignissen 1870/71, an welchen Gustav Freytag als Berichterstatter des preußischen Heeres teilnahm, hatte er mit Albrecht von Stosch, dem Chef des Generalstabs im vierten Corps, engere Bekanntschaft gemacht und sich zunehmend für Militärfragen interessiert.46
1870, in der Zeit vom 1.8.-10.9., schloss sich Freytag beim Frankreich-Feldzug auf Wunsch des Kronprinzen Friedrich, mit dem er befreundet war, dessen Hauptquartier an und begleitete dieses als Kriegsberichterstatter. Stationen seiner „Reise“ während des deutsch-französischen Krieges waren Wörth, Sedan und Reims. In Reims nahm Freytag dann, des müßigen Umherziehens müde, Urlaub.
Ende des Jahres 1870 ersteigerte der Verleger der "Grenzboten", Grunow, meistbietend Freytags Eigentumsanteil an der Zeitschrift, was für diesen „ein Schlag“ war: er hatte 13.200 Reichstaler geboten und wurde darauf von Grunow um 100 Reichstaler überboten. Grunow legte dann die Redaktion in fremde Hände. Zum Jahresende verließ Freytag enttäuscht die „Grenzboten“. Sofort jedoch gründete Freytags Freund Hirzel eine neue wöchentlich erscheinende Zeitschrift, die unter dem von Freytag erdachten Namen „Im neuen Reich“ ab dem 1.1.1871 erschien.
Seinem 1868 verstorbenen Freund Karl Mathy widmete Freytag zwei Jahre später die umfangreiche Schrift „Karl Mathy. Geschichte seines Lebens“. Diese Biographie stand am Ende einer Reihe von Veröffentlichungen Freytags in dem Jahrzehnt von 1860-1870. So publizierte er u.a. die „Neuen Bilder aus der deutschen Vergangenheit“ (1862)47, die „Technik des Dramas“ (1863), ein von Wilhelm Dilthey hoch gelobtes Werk, sowie den Roman „Die verlorene Handschrift“ (1864).

Rückblickend auf die politisch ereignisreiche Zeit zwischen 1860 und 1870 bilanzierte Freytag, dass sein „eigenes Leben… fast ganz in der alten Umgebung dahin lief: die Sommerzeit im Dorfe48, wo ich aus meinem Fenster auf die altmodischen Gartenblumen sah, welche jedes Jahr unweigerlich auf denselben Beeten zu erscheinen hatten, die Wintermonate in der Stadt49, wohin ich mitführte, was der Sommer etwa auf meinem Arbeitstisch zur Reife gebracht. Zu Leipzig fühlte ich mich fest in den Herzen alter Freunde verankert, und ich denke oft mit Sehnsucht der alten Kameradschaft.“ Freytag hob in seiner Autobiographie den geordneten und sittlichen Lebenswandel jener Leipziger Jahre hervor: er lehnte es ab, dass Männer ihre Abende nach getaner Arbeit in „Clubs oder Restaurationen“ verbrachten, da dies, besonders wenn man seinen Haushalt neu einrichtet, den Liebsten nur Schaden zufüge. Stattdessen lobte Freytag die in seinem Bekanntenkreis etablierte Gewohnheit, sich nach Arbeitsschluss nur begrenzt für eine Stunde zu treffen oder sich gegenseitig in den Haushalt einzuladen. Auch hier waltete Bescheidenheit, denn es wurde vereinbart, nicht mehr als zwei Gerichte und keinen teuren Wein anzubieten, um den gesellschaftlichen Verkehr nicht durch überzogene Ansprüche zu erschweren.50
Auch Freytags Wohnung war bescheiden und zweckmäßig eingerichtet. In das Jahr 1866 fielen etliche Besuche Julius Eckardts im Hause Freytag. Dort begegnete er auch dessen Gattin Emilie. Diese sei dem bürgerlichen Leben völlig fremd gewesen, weshalb – so habe man gehört – Gustav Freytag ihr die Maximen Mark Aurels „als Anleitung zur Orientierung in ihrem neuen Pflichtenkreise empfohlen habe“. Die ehemalige Gräfin von Dhyrn stellte keine positive Erscheinung dar: „die Frau Hofrätin… war eine alte, kränklich und verfallen aussehende Dame von vernachlässigtem Äußern und unsicherer Haltung, deren Erscheinung zu dem jugendlich kräftigen Wesen des Gemahls in auffälligem Gegensatz stand. Das schwere Gehirnleiden, das die letzten Lebensjahre der unglücklichen Frau verdüsterte, und das von Freytag mit außerordentlicher Geduld und Freundlichkeit mitgetragen wurde, war bereits damals im Anzuge und konnte vor den Bekannten des Hauses nur noch mühsam verdeckt werden.“51 Für Freytags strenge Zurückhaltung in privaten Dingen und die Abschirmung seines Privatlebens habe der Umstand der Erkrankung der Ehefrau die Hauptursache gebildet.52
Von den Leipziger Freunden in jener Zeit werden namentlich der Jurist Stephani (damals zweiter Bürgermeister der Stadt) und der Anatom Wilhelm Braune genannt, welcher auch eine Zeit lang Freytags „lieber Arzt“ war.53 Zudem erwähnte Freytag in seinen Lebenserinnerungen den späteren Oberbürgermeister Georgi, den Historiker Woldemar Wenck sowie mehrere Gelehrte und „Häupter der Bürgerschaft“ als Mitglieder der Leipziger Tafelrunde.54
Besonders hob Freytag seine „innigste Verbindung“ zu zwei Leipziger Familien hervor, derjenigen des Professors für Physiologie Karl Ludwig und der des Direktors der Kreditanstalt Dr. Rudolf Wachsmuth.55
Im Herbst 1867 sah Freytag seinen Freund Karl Mathy zum letzten Mal bei einem Besuch in Karlsruhe. Als Mathys Gattin für kurze Zeit den Raum verlassen hatte, nahm der Freund Freytag beiseite und nahm ihm das Versprechen ab, sofort nach Karlsruhe zu kommen, wenn er die Nachricht von seinem Tod erhalte. Freytag sah den Freund verwundert an; in diesem Moment trat die Ehefrau wieder ein und das Gespräch ging weiter wie zuvor. Wenige Monate später erhielt Freytag die Nachricht vom Tod Mathys. Dessen Gattin sprach dann Freytag gegenüber den Wunsch aus, er möge den Nachlass ihres Gatten sichten und eine Lebensbeschreibung verfassen. „Der Tod Mathys war eine Mahnung, dass auch ich, der jüngere, in das Alter gekommen sei, wo die Verluste an lieben Vertrauten allmählich größer werden als der neue Gewinn, welchen das Leben uns entgegen trägt… Ob mein Leben im Ganzen glücklich zu preisen ist oder nicht, das weiß ich nicht, denn ich lebe noch. War ich aber einmal glücklich, so war ich es in diesen Jahren, in denen der deutsche Staat durch Kampf und Verträge gegründet wurde, und man wird auch wohl meinen Arbeiten aus dieser Zeit anmerken, dass sie in einer Periode gesteigerten Lebensmutes geschaffen sind.“56

Um 1870 hatte sich die Krankheit von Gustavs Freytags Ehefrau weiter verstärkt. Julius von Eckardt berichtete in seinen Lebenserinnerungen von einem Empfang in Freytags Haus kurz bevor er die „Grenzboten“ verließ, um nach Hamburg überzusiedeln: Ich „nahm die Einladung zu einer kleinen Gesellschaft an, die Freytag… veranstaltete. Die Erinnerung an dieselbe gehört zu den peinlichsten, die ich von gesellschaftlichen Veranstaltungen überhaupt habe. Frau Freytags Gehirnleiden war während der letzten Jahre so sichtlich vorgeschritten, dass sie den gesamten Abend unter ihren Gästen mit blödem Lächeln dasaß, ohne zur Erfüllung der Pflichten der Hausfrau auch nur Miene zu machen. Die Lasten des Empfanges und der Bewirtung lagen ausschließlich auf Freytag, der die Plätze verteilen, die Aufstellung der Tafel besorgen und zugleich den Herrn und die Frau des (überdies engen und unbequemen) Hauses spielen musste, - eine Mühewaltung, der er sich mit höchster Geduld unterzog, von der seine Freunde indessen wussten, dass sie dem feinfühligen, an gute Formen gewöhnten Manne außerordentlich sauer ankam… Ich sehe Freytag noch vor mir, wie er mit Hilfe eines ungeschickten Lohndieners zwei Tische zusammenzufügen suchte, während eine mit Salomon Hirzel geführte Unterhaltung immer wieder durch Fragen nach Gläsern und Tellern unterbrochen wurde und er alle Mühe hatte, sich der Gesellschaft auch nur so weit zu widmen, wie die Rücksicht auf die anwesenden Damen gebot. Alle Beteiligten atmeten auf, als des grausamen Spiels genug war und man um elf Uhr nach den Hüten greifen konnte.“57

Nach dem Tod seiner Gattin Emilie (13.10.1875) ging Gustav Freytag im folgenden Jahr ein enges Verhältnis mit seiner Hauswirtschaftsgehilfin Marie Kunigunde Dietrich ein und zeugte mit ihr zwei Söhne, Willibald (geboren am 16.8.1876 in Heddernheim bei Frankfurt) und Waldemar (geboren im Herbst 1877 in Wiesbaden). In Siebleben heiratete Freytag am 22.2.1879 Marie Kunigunde Dietrich.58 Doch auch seine zweite Ehefrau war kränklich; sie verfiel zunehmend einem nervösen Leiden, was einige Jahre später ihre dauernde Unterbringung in einer Nervenklinik nötig machte. Auch für die Zeit der zweiten Ehe Freytags galt der Grundsatz der strengen Abschirmung des Privatlebens: „Die eigentümlichen Umstände“, welche die zweite Eheschließung begleiteten, führten dazu, „dass er sich noch enger als früher abschloss und dass das elegante Haus, welches er zu Anfang der siebziger Jahre in Wiesbaden erwarb, nur in seltenen Ausnahmefällen geöffnet wurde. Freytags zweite Frau haben nur einzelne seiner nächsten Freunde (meines Wissens nur Prof. Ludwig und Dr. Wachsmuth) zu Gesicht bekommen; als ich ihn im Jahre 1880 besuchte, zeigte er mir sein Haus und die kleine Familie, die ich mir zugelegt habe mit dem Hinzufügen, dass die Mutter derselben leidend sei.“59
Auch Freytag hatte mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen und suchte häufig das wärmere Wiesbaden auf, um seinen Nieskrampf sowie die Atembeschwerden zu kurieren, worunter er im Alter zunehmend litt. Freytags erster Besuch in Wiesbaden datiert aus dem Jahr 1876. Mit seiner Familie wohnte er einige Zeit im Wiesbadener Hotel „Zur Rose“.
In die Zeit der Geburten seiner Söhne fiel auch der Tod seines Freundes und Verlegers Salomon Hirzel am 8. Februar 1877.
Im folgenden Jahr verlegte Freytag seinen Winterwohnsitz nach Wiesbaden; kurze einsame Sommeraufenthalte in Siebleben brachten etwas Erholung. Seit 1881 nahm Freytag seinen Dauerwohnsitz in Wiesbaden. Er bezog eine im spätklassizistischen Stil 1868 erbaute Villa in der Straße "Hainer Weg", welche nach Freytags 70. Geburtstag in Gustav-Freytag-Straße umbenannt wurde. Die Villa Freytags hatte die Hausnummer 118. Den Kurpark von Wiesbaden ziert zudem seit 1905 ein großes Freytag-Denkmal.

Seit 1881 nahm Freytag seinen festen Wohnsitz in Wiesbaden (in der später nach ihm benannten Straße). Im Alter blieb ihm als einziger Freund nur noch der Admiral Stosch, der sich, 1883 aus dem Staatsdienst scheidend, im nahen Oestrich niederließ.

Auch das Jahr 1884 war von belastenden Ereignissen geprägt: der jüngere Sohn Waldemar starb am 19. Januar 1884 im Alter von nicht einmal sieben Jahren; die Ehefrau Marie Kunigunde wurde am 18. Mai in eine Nervenklinik eingewiesen. Der ältere Sohn Willibald war durch die familiären Ereignisse gesundheitlich so erschüttert, dass er immer ein „schonungsbedürftiges Angstkind“ blieb.60

Nur noch kurze Sommeraufenthalte in Siebleben unterbrachen das beschauliche und auch einsame Leben des alternden Gustav Freytag. Den tagespolitischen Ereignissen begegnete er mit Gleichmütigkeit; die neuere Literatur berührte in nur wenig, mit Ausnahme der Dichtungen Conrad Ferdinand Meyers. Mit persönlichem Anteil las Freytag Treitschkes „Deutsche Geschichte“, „wenn auch stets mit liberalem Vorbehalt.“ In den ruhigen Stunden seines Tages kehrte Freytag am liebsten zu den alten Bekannten, den englischen Autoren Scott, Dickens, Cooper und Macaulay zurück. Den Feierlichkeiten zu seinem 70. Geburtstag wollte Freytag durch einen Aufenthalt in Siebleben entkommen, „aber zahllose Beweise nationaler Erkenntlichkeit erreichten ihn auch dort und dienten dazu, sein Herz mit getrostem Selbstgefühl zu erfüllen.“61

Gustav Freytag lernte in jenem Jahr (1886) die Wienerin Anna Strakosch, geb. Götzel, Gattin des dortigen Deklamators, kennen. Anna gelang es, dem kränkelnden Sohn Willibald wieder Lebenskraft zu vermitteln. Freytag dankte ihr überschwänglich. Bald wurde sie seine Vertraute in literarischen Dingen. Anna Strakosch, geb. 9.4.1852, war 36 Jahre jünger als Freytag.62 Am 27.3.1886 starb Freytags Freund Julian Schmidt in Berlin. Im folgenden Jahr veröffentlichte er seine Lebenserinnerungen, welche er Anna Strakosch widmete. Am 15. Juni 1888 starb mit Kaiser Friedrich III. ein weiterer Freund Freytags, was diesen sehr erschütterte. Im folgenden Jahr ließ sich der Schriftsteller, noch unter Einwirkung des Ereignisses des Todes Kaiser Friedrichs III., zu einer Arbeit mit dem Titel „Der Kronprinz und die Kaiserkrone“ verleiten, welche nach dem Urteil Doves „der entschiedenste Missgriff“ war, den Freytag „öffentlich beging.“63

Im Jahre 1890 ließen sich Gustav Freytag und Anna Strakosch von ihren Ehepartnern scheiden; Freytags Trennung von seiner in einer Pflegeanstalt lebenden Frau wurde am 29.9. vollzogen, die Scheidung Anna Strakoschs erfolgte am 26.11. (nach vorangegangenem „Sühnetermin“ am 13.10.). Am 10.3.1891 schloss Freytag dann mit Anna Strakosch seine dritte Ehe. Die Hochzeitsreise führt das Paar nach Nizza, wo man im Hotel des Anglais Quartier nahm, und an die oberitalienischen Seen. Im März des Jahres 1895 unternahm Gustav Freytag eine Reise nach Gotha, um an einer Sitzung wegen eines Denkmals für den verstorbenen Herzog Ernst II. teilzunehmen. Dabei zog er sich eine Erkältung zu, die sich in Wiesbaden zu einer Lungenentzündung ausweitete und am 30.April nach seiner Rückkehr nach Wiesbaden zu seinem Tod führte. Gustav Freytag wurde in Siebleben auf dem Kirchfriedhof begraben.

 

Autor dieses Beitrages: Norbert Otto, Dortmund

 

Anmerkungen:
1 Freytag, G.; Erinnerungen aus meinem Leben, Leipzig 1896 (2. Auflage), S. 29ff. Die „Erinnerungen“ erschienen erstmals 1887 und waren Freytags dritter Ehefrau Anna Strakosch gewidmet.
2 ebda, S. 45
3 ebda., S. 56f.
4 Ebda., S. 59ff.
5 Ebda., S. 72
6 Freytag, G.; Erinnerungen aus meinem Leben, Leipzig 1896 (2. Auflage), S. 83
7 Alfred Dove, Gustav Freytag, In: Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 48, S. 751 / Freytag, Erinnerungen aus meinem Leben, a.a.O., S. 83f.
8 Freytag, a.a.O., S. 85f.
9 Alfred Dove, Gustav Freytag, In: Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 48, S. 751
10 Freytag, G.; Erinnerungen aus meinem Leben, Leipzig 1896 (2. Auflage), S. 86f.
11 Ebda., S. 97
12 Ebda., S. 98ff.
13 Ebda., S. 117ff.
14 Näheres zu dieser bemerkenswerten Begegnung: Ebda., S. 107ff.
15 Ebda., S. 126ff.
16 Ebda., S. 137f.
17 Freytag, G.; Erinnerungen aus meinem Leben, a.a.O., S. 136, 148; vgl. auch Alfred Dove, Gustav Freytag, In: Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 48, S. 755
18 Freytag, Erinnerungen, S. 137f.
19 Mein theurer Theodor, Briefe Gustav Freytags an Theodor Molinari 1847-1847, hrsg. von I. Surynt/M. Zybura, Dresden 2006, S. 11. Ida von Hahn-Hahn lebte mit Bystram seit 1829 „in freier Verbindung“ (ebda, S. 188).
20 Mein theurer Theodor, Briefe Gustav Freytags an Theodor Molinari 1847-1847, hrsg. von I. Surynt/M. Zybura, Dresden 2006, S. 47f. , Rose war der Name der Haushälterin.
21 Ebda., S. 48
22 Arnold Ruge (1802-1880) war 1846 nach Leipzig übergesiedelt.
23 Mein theurer Theodor, Briefe Gustav Freytags an Theodor Molinari 1847-1847, hrsg. von I. Surynt/M. Zybura, Dresden 2006, S. 60 (undatierter Brief aus dem Sommer 1850).
24 Freytag, G.; Erinnerungen aus meinem Leben, Leipzig 1896 (2. Auflage), S.171f.
25 Mein theurer Theodor, Gustav Freytags Briefe an Theodor Molinari 1847-1867, hrsg. von I. Surynt/M. Zybura, Dresden 2006, S. 100 (Brief aus Siebleben vom 23. Juni 1861). Der Sommeraufenthalt in Siebleben endete 1861 erst zum 1. Dezember (ebda., S. 102).
26 Mein theurer Theodor, a.a.O., S. 109
27 Ebda., S. 172. Als der Roman „Soll und Haben“ Ostern 1855 erschien, packte Freytag das erste Exemplar für seine Mutter ein; am selben Tag erhielt er die Nachricht von ihrem Tod (ebda., S. 178). Der Roman war Herzog Ernst II. gewidmet; Freytag wünschte , dass dieser Zusatz auch in künftigen Auflagen enthalten sei (ebda., S. 183).
28 Ebda., S. 178
29 Lebensdaten 21.6.1818 – 23.8.1893
30vgl. Freytag, Erinnerungen, a.a.O., S. 187
31 Freytag, a.a.O., S. 195
32 Alfred Dove, Gustav Freytag, In: Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 48, S. 75633 Freytag, Erinnerungen, a.a.O., S. 196f.; Baudissin lebte von 1789-1878
34 Freytag, Erinnerungen, a.a.O., S. 209
35 Ebda., S. 210
36 Ebda., S. 168f.
37 Alfred Dove, Gustav Freytag, In: Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 48, S.760; Julius v. Eckardt, Lebenserinnerungen, Leipzig 1910, Bd. I, S. 50
38 Freytag, Erinnerungen aus meinem Leben, a.a.O., S. 212
39 Ebda.
40 Freytag, a.a.O., S. 223f. Freytags unerschütterliche Treue zu Deutschland hob auch Julius v. Eckardt hervor (Lebenserinnerungen, Bd. I, Leipzig 1910, S. 67).
41 Freytag, Erinnerungen aus meinem Leben, a.a.O., S. 223
42 Freytag, Erinnerungen, S. 224
43 Freytag, Erinnerungen, S. 225
44 Es ist anzunehmen, dass Freytag während seiner Zeit als Abgeordneter in Berlin auch zu Julian Schmidt Kontakt hatte und ihn in seinem Haus besuchte.
45 Freytag an Hirzel, Berlin, 5.3.1867, in: Galler/Mantoni II, a.a.O., S.56
46 Freytag, Erinnerungen, S. 218f.
47 Die „Neuen Bilder“ umfassten das 18. und 19. Jahrhundert und bildeten die Fortsetzung zu den 1859 erschienenen „Bildern“, welche das 16. und 17. Jahrhundert behandelten.
48 Gemeint ist Siebleben
49 Leipzig
50 Freytag, Erinnerungen, S. 228
51 Julius von Eckardt, Lebenserinnerungen, Bd. I, Leipzig 1910, S. 68f.
52 Eckardt, a.a.O., S. 69. Dem Verkehr mit Freytag war dadurch eine „Schranke gezogen“. Dies galt selbst für Freytags vertrautesten Leipziger Freund, Salomon Hirzel. (ebda.)
53 Ebda., S. 229
54 Ebda., S. 230. Als „Fremder“ der „Tafelrunde“ wird noch der Kunstschriftsteller Joseph Archer Crowe erwähnt (ebda.).
55 Freytag, Erinnerungen, S. 233
56 Freytag, Erinnerungen, S. 234f.
57 Julius von Eckardt, Lebenserinnerungen, Bd. I, Leipzig 1910, S. 177f.
58 M.K. Dietrich wurde am 2.11.1846 in Birkenfeld geboren, war also 30 Jahre jünger als Gustav Freytag. Sie starb am 4.3.1896.
59 Julius von Eckardt, Lebenserinnerungen, Bd. I, Leipzig 1910, S. 69
60 Alfred Dove, Gustav Freytag, In: Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 48, S. 763
61 Dove, a.a.O., S. 763f.
62 Anna Strakosch starb 1911 und wurde in Siebleben bestattet. Freytags literarisches Schaffen in der Zeit von 1872-1880 konzentrierte sich auf den Romanzyklus „Die Ahnen“, welcher in 6 Bänden (1872-1874, 1876, 1878, 1880) erschien.
63 Weiteres dazu bei Alfred Dove, Gustav Freytag, In: Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 48, S. 765